Joachim Zacher kann nach 10 Jahren das Wasserkraftwerk endlich in Betrieb nehmen.
Einleitung:
Die Wasserkraft wird in Horb seit dem 11. Jahrhundert genutzt. So gab es in Horb 17 Wasserräder, die überwiegend zum Mahlen von Getreide gebaut wurden. Übrig geblieben ist nur noch das unterschlächtige „Zuppinger Rad“ im Mühlkanal, das heute als Technikmuseum genutzt wird. Mit 5,20 m Durchmesser und 3,40 m Breite zählt es zu den größten Wasserrädern dieser Art im süddeutschen Raum. Technisch gesehen stellt das Zuppinger Rad eine Übergangsform vom klassischen Wasserrad zur modernen Wasserturbine dar.
In unmittelbarer Nähe des bestehenden „Zuppinger-Wasserrads“ im Mühlkanal besteht die Chance, „alt“ und „neu“ gegenüber zu stellen. Die Firma BEW-Power aus Wien hat die „Lamellenturbine“ entwickelt, die sich insbesondere für Standorte mit geringem Wasserdargebot und kleinen Fallhöhen eignet und die sich mit herkömmlichen Francis- oder Kaplan-Turbinen nur schwer umsetzen lassen. Die wissenschaftliche Diskussion, ob es sich bei der Lamellenturbine um eine „Wasserkraftturbine“ oder um ein „verbessertes Wasserrad“ handelt, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Interessant ist aber der Vergleich der Technologien: Das bestehende Zuppinger-Wasserkraftrad hat mit einer installierten Leistung von ca. 25 kW einen Durchmesser von 5,20 m und eine Breite von 3,40 m.
Im Vergleich dazu hat die Lamellenturbine eine installierte Leistung von 21 kW bei einem Durchmesser von 3,60 m und einer Breite von 2,20 m. Bei einer vergleichbaren Leistung ist der Durchmesser der Lamellenturbine gegenüber dem Zuppinger-Wasserrad um 1,60 m geringer (ca. 30%) und in der Breite um 1,20 m kürzer (ca. 35%).
Landesgartenschau in Horb und Neubau eines Wasserkraftwerks an der Inselspitze in Horb am Neckar
Im Rahmen der Landesgartenschau in Horb im Jahr 2011 wurde von der dafür gegründeten Energie Tübingen-Horb GmbH ein neues Wasserkraftwerk gebaut. Dieses befindet sich an der sog. „Inselspitze“, wo an einem bestehenden Wehr die Ausleitung des Neckars in den „Horb- bzw. Mühlkanal“ erfolgt. Vor dem Bau der neuen Wasserkraftanlage wurden bis zu 8,5 m³/s Wasser aus dem Mutterbett des Neckars in den Mühlkanal ausgeleitet, um zwei weitere Wasserkraftwerke für die Stromerzeugung und das historische Zuppinger-Wasserrad betreiben zu können. Dieser Zustand hatte zwei wesentliche Probleme:
- Bei Niedrigwasser (< 8,5 m³/s) fiel das Mutterbett des Neckars trocken. Die Folge war, dass der Flussabschnitt zwischen dem Wehr und der Wiedereinleitung des Mühlkanals in den Neckar kein Wasser führte und diese Situation ökologisch nicht akzeptabel war.
- Das Wasserdargebot des Neckars (MQ ca. 14 m³/s) wurde nur unzureichend genutzt, weil die im Mühlkanal befindlichen Wasserkraftanlagen nur bis zu 8,5 m³/s verarbeiten konnten.
Die Landesgartenschau im Jahr 2011 in Horb hatte dann die Möglichkeiten eröffnet, sowohl die energetischen Rahmenbedingungen der Wasserkraftnutzung als auch die ökologischen Defizite zu beseitigen: Mit dem Bau einer neuen Wasserkraftanlage an der Inselspitze konnte das energetisch ungenutzte Potenzial aktiviert, die Durchgängigkeit des Neckars im Bereich der Wehranlage erreicht und die Gewässerökologie des Neckars verbessert werden. Mit einer installierten Leistung von 400 kW können pro Jahr etwa 600 Vier-Personen-Haushalte versorgt und 850 t CO2-Emissionen vermieden werden.
Genehmigungsvoraussetzungen für den Neubau des Kraftwerks an der Inselspitze
Vor dem Neubau des Kraftwerks an der Inselspitze wurden bis zu 8,5 m³/s in den Mühlkanal zur Stromerzeugung ausgeleitet. Genehmigungsvoraussetzungen für den Neubau des Wasserkraftwerks an der Inselspitze waren u.a., die Wassergüte im Mühlkanal zu erhalten und Geruchsbelästigungen wegen schlechter Wasserqualität zu vermeiden. Gleichzeitig war zu berücksichtigen, dass die Turbinen der Altanlagen im Neckarkanal erst bei einem Wasserdargebot von ca. 2,0 m³/s Strom erzeugen und sich das historische Wasserrad am Marmorwerk weiterhin drehen sollte. Seitens der Genehmigungsbehörden wurde daher festgelegt, dass im Neckarkanal 1,95 m³/s verbleiben müssen. Diese Vorgabe wiederum schafft ein interessantes Potenzial für die Wasserkraftnutzung an einem bisher noch nicht genutzten Standort, der sich bei der Wiedereinleitung des Mühlkanals in den Neckar befindet. Dort gibt es einen Absturz mit einer Bruttofallhöhe zwischen 1,20 – 1,45 m. In Verbindung mit der zur Verfügung stehenden Mindestwassermenge von ca. 1,95 m³/s bietet sich die Chance, an diesem Standort eine Wasserkraftanlage mit einer hohen Jahresauslastung (> 8.000 Stunden) zu betreiben.
Vereinbarung mit der Energie Tübingen-Horb GmbH
Der Bau einer neuentwickelten Lamellenturbine für Standorte mit niedrigen Fallhöhen, die für den Standort prädestiniert ist, war aus unternehmerischer Sicht der Energie Tübingen-Horb GmbH nicht wirtschaftlich darstellbar. Diese Haltung führte dazu, dass die Energie Tübingen-Horb GmbH aus wirtschaftlichen Gründen nicht investieren konnte, den Standort aber gleichzeitig nicht für andere mögliche Betreiber zur Verfügung stellen wollte. Die Stadt Horb hatte wiederum ein ambitioniertes Klimaschutzkonzept beschlossen und die Nutzung regenerativer Energien ist dabei zentraler Bestandteil. Unter diesem Anspruch war es nicht zu vermitteln, das Potenzial einer weiteren Wasserkraftanlage, die für etwa 40 Vier-Personen-Haushalte Strom erzeugen könnte, nicht zu nutzen.
Nach langen und konstruktiven Diskussionen wurde Anfang 2013 ein Kompromiss gefunden. Die Lamellenturbine kann gebaut werden, wenn die betrieblichen Abläufe der Energie Tübingen-Horb GmbH nicht beeinträchtigt werden und gleichzeitig ein anteiliger Beitrag an den Betriebs- und Sanierungskosten der Wehranlage auf der Basis der installierten Leistung der Wasserkraftanlage übernommen wird. Die Vereinbarung basiert auf der gemeinsamen Nutzung des Stauwehrs, das mehrere Stromerzeugungseinheiten versorgt.
Ursprünglich war es das Ziel, für den Bau der Lamellenturbine eine Landesförderung im Förderprogramm „Kleine Wasserkraft“ zu erhalten. Der Antrag vom April 2013 wurde nach einigen Änderungen bei den Förderrichtlinien der EU und des Landes im Frühjahr 2018 endgültig abgelehnt. Das Problem: Um Fördermittel des Landes zu erhalten, darf mit den Baumaßnahmen erst nach dem Erhalt des Förderbescheids begonnen werden, so dass sich der Bau der Lamellenturbine in Horb um vier Jahre verzögert hat.